Psychohygiene befasst sich mit der „Lehre von der Erlangung und Schutz der psychischen Gesundheit“. Sie ist die Gesamtheit aller Massnahmen, die zur Erhaltung und Verbesserung des Wohlbefindens jedes/jeder Einzelnen beitragen.
Solange wir „funktionieren“ nehmen wir kaum Kenntnis davon, welche Bedeutung und Auswirkung die seelische Gesundheit auf unser gesamtes Leben hat. Psychohygiene findet sich nicht erst in der wissenschaftlichen Psychologie. Bereits Frühvölker versuchten sich durch Spiel oder Tanz von Krankheiten zu schützen.
Tägliche Psychohygiene bedeutet für die seelische Gesundheit das Gleiche wie die allgemeine Hygiene für die körperliche Gesundheit. Sie dient der fruchtbaren Auseinandersetzung mit sich selbst. Psychohygiene ist keineswegs nur für den „kranken Zustand“ gedacht, sondern kann von jedem von uns täglich praktiziert werden und so selbstverständlich werden, wie das Zähneputzen.
Lernen Sie auf Ihre Bedürfnisse zu achten und einen positiven, gesundheitsförderlichen Umgang mit den Anforderungen und Problemen des Lebens zu pflegen. Im Folgenden finden sich einige Übungen dazu, welche sich gut in den Alltag einbauen lassen.
Achtsamkeit heisst wertungsfrei im „Hier und Jetzt“ sein
Ein Grossteil unserer Gedanken ist entweder auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft gerichtet. Wir denken über Dinge, Handlungen, Situationen nach, die schon passiert sind oder die noch eintreten können. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch angemessen und normal. Wir sollten aber auch den gegenwärtigen Moment im Blick haben. Dies ist oft gar nicht so leicht, da wir es nicht gewohnt sind.
Wahrnehmen
- Achten Sie darauf, was Sie gerade erleben.
- Beobachten Sie das Kommen und Gehen von Gedanken und Gefühlen.
- Schauen Sie ihre Gedanken an und lassen sie weiterziehen, wie Wolken am Himmel oder Blätter im fliessenden Wasser.
Beschreiben
- Geben Sie dem, was Sie erleben, Worte.
- Benennen Sie die entstehenden Gedanken und Gefühle.
- Nehmen Sie es wahr, ohne es zu beurteilen.
Teilnehmen
- Bedeutet Aufgehen im gegenwärtigen Moment.
- Handeln Sie ganz aus Ihnen heraus, was in dieser Situation notwendig ist, wie eine Tänzerin, die eins mit der Musik ist. Werden Sie eins mit dem, was Sie gerade tun und erleben.
- Tun und erleben Sie, ohne darüber nachzugrübeln, was gerade los ist.
Konzentrieren
- Beschäftigen Sie sich nur mit einer Sache.
- Lassen Sie sich nicht ablenken.
- Lasse Sie nicht hilfreiche Gedanken und Gefühle vorbeiziehen.
Beispiel: Die Geschichte des Mönchs
Ein in Meditation erfahrener Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so gesammelt sein könnte.
Er sagte:
Wenn ich stehe, dann stehe ich
wenn ich gehe, dann gehe ich
wenn ich sitze, dann sitze ich
wenn ich esse, dann esse ich
wenn ich spreche, dann spreche ich
Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: Das tun wir auch, aber was machst du noch darüber hinaus?
Er sagt wiederum:
Wenn ich stehe, dann stehe ich
wenn ich gehe, dann gehe ich
wenn ich sitze, dann sitze ich
wenn ich esse, dann esse ich
wenn ich spreche, dann spreche ich
Wieder sagten die Leute: Das tun wir doch auch!
Er aber sagte zu ihnen:
Nein, wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon,
wenn ihr steht, dann lauft ihr schon,
wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel!
Hier-und-Jetzt-Übung
Unser Gehirn ist ein wunderbarer Partner, wenn es darum geht, uns zu schützen. Manchmal meint es unser Gehirn und insbesondere unsere “Angst- und Vorsichtszentrale” (die sog. Amygdala) aber etwas zu gut. Wir verstricken uns dann in Sorgen über die Zukunft und malen uns die schlimmsten Szenarien aus. Meistens beginnen solche Gedanken mit „Aber wenn …, Falls… , Wenn ich mir vorstelle, dass ….“
Es ist wichtig, sich in der Realität zu verankern und nicht mit den Gedanken pausenlos in der (ungewissen) Zukunft zu sein. Die „Hier-und-Jetzt-Übung“ kann dafür hilfreich sein:
Holen Sie dafür Ihre Gedanken immer wieder in die Gegenwart und verdeutlichen Sie sich diese. Zunächst konkret in Ihrer unmittelbaren Umgebung.
- Wo befinden Sie sich gerade jetzt?
- Wie sieht es dort konkret aus?
- Welche Farben, Gegenstände, Gebäude oder ähnliches können Sie genau jetzt sehen?
Häufig werden Sie die Erfahrung machen, dass in der aktuellen Situation Vieles gut ist. Bleiben Sie mit den Gedanken dort und üben Sie sich in Dankbarkeit, z.B. mit folgender Übung.
Dankbarkeitsübung
„Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt.“ meinte einst Schopenhauer. So verleitet auch die aktuelle Situation dazu, den Fokus eher auf Defizite zu lenken. Gleichzeitig blenden wir vieles aus, was für uns selbstverständlich und gut ist. Die folgende Auflistung gibt eine Anregung, sich (am besten täglich) bewusst zu machen, wofür man dankbar sein kann.
Sicherlich werden nicht alle Punkte auf Sie zutreffen, aber lassen Sie sich gern inspirieren und finden Sie Formulierungen, die für Sie gut passen. Nachfolgend finden Sie Anregungen:
Ich bin beispielsweise dankbar dafür, dass
- ich lebe,
- ich ohne oder mit wenigen Schmerzen aufgewacht bin,
- mich wichtige Menschen lieben,
- alle oder viele meiner mir wichtigen Menschen gesund sind,
- hilfreiche Menschen in meinem Umfeld habe,
- ich bereits so viele gute Erfahrungen in meinem Leben machen durfte,
- ich ein schönes Zuhause habe,
- ich einen Arbeitsplatz habe,
- ich in einem Land lebe mit einem gut ausgestatten Gesundheitswesen,
- fliessendes, trinkbares Wasser für mich eine Selbstverständlichkeit ist,
- ich in einer friedlichen Gesellschaft ohne Krieg lebe,
- ich in einer Demokratie lebe.
5-4-3-2-1 Übung
Die folgende Übung kann dabei helfen, Gedanken und Grübeleien in Bezug auf die Vergangenheit und/oder Zukunft zu unterbrechen.
Dafür verdeutlichen Sie sich einfach die aktuelle Situation/Umgebung, in der Sie sich befinden (ähnlich wie in der „Hier und Jetzt-Übung“). Sie können diese Übung überall durchführen, auf dem Heimweg, in den eigenen vier Wänden, in der Schlange beim Einkaufen, im Wartezimmer, beim Spazieren gehen, beim Einschlafen, etc.
- Nehmen Sie dabei einfach 5 Dinge bewusst wahr, die Sie jetzt gerade sehen. Das kann der Fussbodenbelag sein, die Wandfarbe, kleine Details in der Natur oder in dem Raum, in dem Sie sich befinden (Bilder an der Wand, Gardinen am Fenster). Bewerten Sie die Dinge nicht. Nehmen Sie einfach wahr z.B. ein grauer Teppichboden, eine Blume, eine grüne Jacke bei der Person vor mir in der Schlange.
- Nehmen Sie anschliessend 5 Dinge bewusst wahr, die Sie jetzt gerade hören: Das kann ein Gespräch sein, Vogelzwitschern, ein vorbeifahrendes Auto, ein Flugzeug, etc. Bewerten Sie auch hier die Dinge nicht, versuchen Sie es einfach nur wahrzunehmen.
- Lenken Sie dann Ihre Aufmerksamkeit auf 5 Dinge, die Sie gerade von Aussen am Körper spüren. Das kann z.B. der Bügel Ihrer Brille sein, der Stoff Ihrer Kleidung, die Schuhe an den Füssen, der Hosenbund, aber auch der Untergrund, auf dem Sie gerade sitzen oder gehen. Eventuell auch ein Windhauch auf dem Körper oder die Sonne auf der Haut. Bewerten Sie auch hier nicht, sondern nehmen Sie einfach wahr, wie es ist.
- Als Letztes nehmen Sie 5 Ihrer Atemzüge wahr. Atmen Sie einfach normal weiter und beeinflussen Sie den Atem nicht. Beobachten Sie einfach, wie die Luft sich über die Nase, den Rachen und dann in Ihren Lungen verteilt. Beobachten Sie, ob sich Ihr Bauch hebt und senkt. Bewerten Sie auch hier nicht. Nehmen Sie einfach wahr, wie sie gerade atmen.
Nachdem Sie diese Schritte durchlaufen haben, beginnen Sie wieder von vorne und lenken die Achtsamkeit diesmal auf 4 Dinge, die Sie sehen. Das können dieselben wie zuvor sein, aber auch – sofern vorhanden – andere. Auch hier geht es darum, nur wahrzunehmen, ohne Bewertung.
Danach konzentrieren Sie sich auf 4 Dinge, die Sie hören, dann auf 4 Dinge, die Sie von Aussen an Ihrem Körper spüren und abschliessend auf 4 Atemzüge. Wenn Sie weniger Dinge zu sehen/hören/fühlen, dann nehmen Sie auch das einfach wahr.
In der dritten Runde konzentrieren Sie sich wieder auf drei bisher schon wahrgenommene oder neue Dinge, die Sie sehen, hören, fühlen und ihre Atmung und bewerten diese nicht.
In der nächsten Runde dann jeweils zwei Dinge und danach eine Sache. Die Reihenfolge bleibt immer gleich: zuerst sehen, dann hören, als nächstes fühlen und als letztes die Wahrnehmung des Atems.
Aktivitäten planen
Gehen Sie einen Schritt zurück und blicken Sie mit etwas Distanz auf Ihre Aktivitäten. Fühlen Sie sich eher über- oder unterfordert, oder wissen gar nicht, wo Sie in Ihrer Tagesplanung anfangen sollen? Um diese erfolgreich umzusetzen und Frustration vorzubeugen, lohnen sich einige Grundregeln bei der Zeiteinteilung und Auswahl der Aktivitäten zu beachten, zum Beispiel:
- Gewählte Aktivitäten sollen übersichtlich und umsetzbar sein
- Grosse Schritte sollen in kleine, realistische Teilschritte zerlegt werden
- Aktivitäten auswählen, die Sie selber bestimmen können und deren Erfolg sichtbar ist (z.B. jemanden Einladen statt auf Besuch zu warten)
- Ausgleich schaffen zwischen unangenehmen Tätigkeiten und angenehmen Aktivitäten
- Belohnen Sie sich, wenn Sie einen Schritt geplant und umgesetzt haben!
Mögliche positive Aktivitäten könnten sein – gerne als Teil Ihrer individuellen Liste (und zur Erinnerung, wenn es Ihnen schwerfällt, eine Aktivität zu planen):
- Etwas Kreatives tun, gestalten, malen, musizieren, spielen, schreiben, denn Kreativität ist Nahrung für die Seele
- Bewegung, Sport, bewusst einen Spaziergang machen, Schwimmen gehen, denn Bewegung aktiviert uns auf allen Ebenen und sorgt für eine ausgeglichene Psyche
- Aktiv sein, heisst sich einbringen: sich bewegen, mitmachen, sich interessieren für eigene Anliegen, Anliegen der Familie und Freunde, Gesellschaft
- Kunst und Musik: Ausstellungen, Museumsbesuche, Konzert, Kinobesuch
- Dinge in den Alltag einplanen, die Freude machen, z.B. bewusste Pausen, Treffen mit Kolleginnen und Kollegen während der Arbeitszeit, Kochen, einen Kuchen backen, ein Bad nehmen, etwas Dekorieren
- … – Was ist für Sie positiv? Welche Aktivität macht Ihre Psyche ausgeglichener?
Entspannungstechniken
Zur Schaffung eines psychischen Ausgleichs sind bestimmte Techniken gerade nach Anspannungsphasen effektiv, um zu unserer Psychohygiene beizutragen. Es ist empfehlenswert, diese regelmässig zu praktizieren, um ihre Psychohygiene für „schwierige Zeiten“ fit zu halten. In der Analogie zum Zähneputzen „putzt“ man sich diese auch nicht nur, wenn man Zahnschmerzen hat.
Sie finden hierzu teilweise auch im Internet Anleitungen bzw. können ggf. um Tipps bei Ihrer Therapeutin oder Ihrem Therapeuten bitten. Im Folgenden sind einige Beispiele verlinkt:
- Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson
- Autogenes Training
- Yoga
- Qi-Gong
- Tai-Chi
- Bewusste Bauchatmung, bewusst atmen, z.B. mit Zähltechniken
- Meditation (angeleitet, z.B. mit App oder Video, oder in Eigenregie mit Timer)
- Ausreichend und qualitativen Schlaf mit guter „Schlafhygiene“
- Kontakt resp. Aufenthalt in der Natur, sich in die Natur setzen, z.B. „Waldbaden“
- Längere Spaziergänge oder Velofahrten
Auf einen Blick … als PDF
Quellen
- Maßnahmen zur Stärkung der mentalen Gesundheit – Übungen zum Umgang mit psychischen Belastungen
- Einschlägige Literatur zu Achtsamkeit und Meditation
Hinweis
Bitte kontaktieren Sie im Notfall das Ärztefon (0800 33 66 55) oder die Sanität (144). Dies ist eine unverbindliche Information. Bitte suchen Sie im Zweifelsfall einen Arzt oder eine Ärztin auf.